Der Luchs im Schwalm-Eder-Kreis (Teil 2)
Luchsbeauftragte im Schwalm-Eder-Kreis
Haben Sie einen Luchs gesehen, eine „verdächtige“ Fährte entdeckt, ein gerissenes Wild- oder Nutztier gefunden? – Dann informieren Sie bitte einen Luchsbeauftragten in Ihrem Landkreis:
- Peter Bachmann: 0171 – 514 94 42
- Petra Westphal: 0170 – 631 09 41
- Ulrich Gerhold: tagsüber: 06695 – 96 13 12
Mehr Informationen auf der Seite Luchshinweise melden.
■ Fotofallen im Riedforst
Das Kamera-Monitoring im Landkreis hatte schon kurz nach dem Start im Januar 2011 einen ersten Erfolg zu verzeichnen: Im Wald bei Melsungen zeigte sich ein fotogener Luchs zu unterschiedlichen Zeiten einer Fotofalle und sorgte durch deren Selbstauslöser für eine adrette Fotoserie. Die Schwarzweiß-Bilder sind Infrarot-Aufnahmen. Sie können in der Nacht „geschossen“ werden, ohne dass das Tier durch einen Lichtblitz erschreckt wird.
Dieses „aktive Monitoring“ realisierten in Nordhessen die Forstämter Melsungen und Hessisch Lichtenau in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Hessenluchs. Insgesamt waren 50 Fotofallen im Einsatz, die an einschlägigen Punkten im Forstbereich installiert wurden. 27 Fallen steuerte der BUND aus Spendenmitteln bei, 10 kamen vom NABU. Weitere 13 Kameras besorgte das Forstamt Melsungen im Rahmen seiner „Arten-Patenschaft“ für den Luchs. Die Fotofallen hingen in Riedforst und Söhre bis Oktober 2012 und brachten ein Vielzahl von Luchsnachweisen, die im Fotofallenbericht 2011 (pdf·1,3 M) und Anhang (pdf·4,1 M) dokumentiert sind. Im Forstamtsbereich Hessisch Lichtenau (Werra-Meißner-Kreis) wird das Kamera-Monitoring fortgeführt.
Ziel der Beobachtung auf kleiner Fläche ist das Dokumentieren von individuellen Merkmalen eines Tieres. So kann man einen Luchs wieder erkennen, wenn er an einer anderen Fotofalle vorbeiläuft. Nach einem längeren Beobachtungszeitraum sind dann die Individuen in einem Areal bekannt. Damit will man auch Hinweise auf die Anzahl der Tiere und die Größe ihrer Streifgebiete bekommen. Daten, die durch das generelle „passive Monitoring“ des AK Hessenluchs nicht zu gewinnen sind. Mehr dazu unter Erfassen und Bewerten.
■ Uhu-Mann trifft Luchs
Raymund Brunner betreibt im Wald bei Guxhagen eine Uhu-Pflegestation, die er allabendlich aufsucht, um die Nachtgreife in den Volieren zu füttern. Auf dem Weg dorthin wird er stets von seinem Hund begleitet. Im April und Mai 2011 trafen die beiden in einem bestimmten Bereich des Waldwegs immer mal wieder auf einen Luchs, der allerhand unternahm, um Hund und Herrn aus diesem Areal zu vertreiben.
Raymund Brunner hat uns seine Tagebuch-Notizen geschickt, die wir hier auszugsweise wiedergeben:
06.04.2011, 20.45 Uhr
Mein Hund Inu nimmt eine Spur auf, zerrt an der zehn Meter langen Leine, steht dann und knurrt; Taschenlampe an, zwei glühende Augen starren uns an. Eine Katze, so groß wie ein Schäferhund liegt im Unterholz, Entfernung 8-10 Meter. Der Hund will zum Luchs, der Luchs zum Hund. Also langsamer Rückzug. Der Luchs folgt uns. Ich will kein Risiko eingehen, renne los, den Hund hinter mir herziehend. Die Katze lässt sich nicht abschütteln. Noch etwa 150 Meter folgt sie uns, schwingt sich dann auf einen Holzstoß und bleibt dort sitzen. Der Puls hämmert, der Schweiß auf der Stirn, aber ich bin glücklich über diese seltene Begegnung.
08.04.2011, 20.00 Uhr
Heute bin ich früher los, um mir die Örtlichkeit meiner ersten Luchsbegegnung bei Tageslicht anzuschauen. Also rein in das Gestrüpp, Hund und Mensch haben Nase und Augen auf den Untergrund geheftet. Ich mache eine Körperdrehung und schaue auf.
Da steht der Luchs plötzlich vor uns, souverän, interessiert, ein leises Knurren geht von ihm aus. Wir ziehen uns vorsichtig zurück auf den Weg. Die Hundeleine wird kurz, der Hund bleibt angespannt aber ruhig. Heute rennst du nicht weg, schießt es mir durch den Kopf, soll die Katze kommen. Und sie kommt, ein wunderschönes Tier, schlank, geschmeidig, und diese Augen. Der Abstand beträgt nur noch ca. 2,50 Meter, dann macht sie halt. Der Hund knurrt, die Katze knurrt. Dem Tier zugewandt langsamer Rückzug rückwärts, der Luchs hält den Abstand, kommt aber mit. Hätte ich doch eine Fotokamera dabei, das gäbe Spitzenfotos! Da ich das Uhufutter noch in der Tasche habe, nehme ich ein totes Eintagsküken und werfe es ihm vor die Pfoten. Ein kurzes Schnuppern, ein verächtlicher Blick, die Katze setzt sich und leckt sich das Fell. Ich werde mutiger und gehe langsam auf das Tier zu. Der Luchs weicht zurück, hält aber die kurze Distanz ein. So gehen wir zurück auf den Ausgangspunkt unserer Begegnung. Es raschelt, ein Feldhase stürzt aufgeregt davon. Der Luchs beriecht das Lager, setzt sich dann in Seelenruhe und beäugt die Umgebung. Langsam vergrößern wir den Abstand zu ihm. Ein Denkmal in der Abendsonne, dieses Bild prägt sich in mir ein. Unsere Begegnung hat eine halbe Stunde gedauert und ich muss gehen, um die Uhus zu füttern.
10.04.2011, 21.15 UhrMeinem Freund Gerhard habe ich begeistert von meinen Beobachtungen berichtet und heute Abend begleitet er mich, bewaffnet mit einer kleinen Kamera. Ein Luchs kommt nicht auf Bestellung, denke ich mutlos und wir sind schon auf dem Heimweg. Da, auf der Schneise eine Bewegung, könnte ein Reh sein, denke ich noch. Das Fernglas kommt zum Einsatz, es ist der Luchs. Langsam kommt er auf uns zu, fieberhaft betätigt Gerhard seine Kamera. Die Verhaltensweisen sind die gleichen, der Hund knurrt, der Luchs knurrt. Es fehlt nur noch, dass Inu zur Begrüßung mit dem Schwanz wedelt. Vor lauter Aufregung vergesse ich, die Taschenlampe zur besseren Bildqualität einzusetzen. Die Katze hat sich mittlerweile wie eine Filmdiva niedergelassen. Dann erhebt sie sich und trottet von dannen.
Bis weit in den Mai hinein kam es in diesem Waldbereich zu weiteren Begegnungen. Ihre Kontinuität legt zunächst nahe, dass es sich um eine Luchsin gehandelt hat, die in einem Versteck in der Nähe ihre Jungen verborgen hielt. Deshalb wollte sie vermutlich Hund und Mensch auf Distanz halten. In den ersten sechs Wochen ihres Lebens sind Jungluchse noch nicht mit ihrer Mutter „auf Wanderschaft“, sondern werden in einem Unterschlupf versorgt. Laut Fachliteratur werfen Luchsinnen allerdings frühestens Anfang Mai. Insofern muss hinter unserer Vermutung ein Fragezeichen stehen. Andere Interpretationen bieten sich allerdings auch nicht an. Luchse verteidigen zwar in ähnlicher Weise ihren Riss, doch der ist nach wenigen Tagen vollständig genutzt. Die Begegnungen über Wochen hinweg im immer gleichen Areal können so nicht erklärt werden.
Wir danken Raymund Brunner für die Überlassung seiner Notizen und Gerhard Meyer für die eindrucksvollen Fotos.
■ Der Kuder auf der Wiese
Im Juni 2011 wurde auf einer Wiese am Waldrand bei Spangenberg ein Reh gefunden, das Merkmale eines Luchsrisses aufwies. Ein Jäger hatte den Fund einem regionalen Luchsbeauftragten gemeldet und mit ihm abgesprochen, am Riss eine Fotofalle zu installieren. Als er dann am frühen Abend auf die Wiese zurückkam, war der Luchs schon bei seiner Beute. Glücklicherweise war eine Kamera zur Hand. Die ungewöhnliche Begegnung konnte vom Auto aus dokumentiert werden. Entfernung zu Luchs und Riss: ganze 80 m.
Am Tag danach kehrte der Luchs erneut zum Riss zurück. Es gelangen weitere Aufnahmen, die belegen, dass es sich um einen ausgewachsenen, männlichen Luchs handelte.
■ Zweiter Totfund in Hessen
Anfang Februar 2012 wurde bei Guxhagen ein toter Luchs gefunden. Der zweite Fund in Hessen.
Der Kadaver war bereits stark von Aasfressern genutzt. Dennoch war noch eine pathologische Untersuchung möglich. An den Überresten des Körpers fanden die Veterinäre der Universität Gießen keinerlei Fettgewebe. Dies deutete darauf hin, dass auch dieses Tier an Auszehrung (Kachexie) litt. Genau wie der Totfund von 2011 in der Söhre (Landkreis Kassel). Außerdem wurden Räudemilben festgestellt. Das Gebiss war bereits gewechselt, das Tier wirkte aber recht zierlich. Es könnte also wiederum ein vorjähriger Jungluchs gewesen sein – im selben Alter wie der tote Luchs in der Söhre.
■ Zwei Luchse an einem Riss
Ende März 2012 traf bei Körle ein Jäger samt Jagdhund auf einen Luchs, der ein Reh gerissen hatte. Zunächst vertrieb der Luchs den freilaufenden Hund, der schnellstens zu seinem „Herrchen“ zurücklief. Der Luchs setzte nach und näherte sich Hund und Herrn bis auf wenige Meter. Die Beiden traten den Rückzug an. Der Luchs beruhigte sich und kehrte zu seinem Riss zurück. Der Jagdhund hatte ein paar kleine Kratzer abbekommen.
Noch am selben Tag zeigte der Jäger dem zuständigen Luchsbeauftragten den Ort des Geschehens. Der Luchs war wieder am Riss und ließ sich bereits aus großer Entfernung sehen. Er beobachtete die herannahenden Zweibeiner, die sich bis auf 30 m nähern konnten. Dabei gelangen etliche Farbfotos, die einen erwachsenen Luchs mit deutlichem „Backenbart“ zeigen.
Zu einem späteren Zeitpunkt war der Riss dann ohne „Bewachung“ und eine Fotofalle konnte installiert werden. In der Nacht kam der Luchs zu seiner Beute zurück. Die Kamera dokumentierte ein Tier, das der adulte Luchs sein dürfte. In der darauf folgenden Nacht gelangen weitere Infrarot-Aufnahmen, die augenscheinlich einen zweiten Luchs zeigen, der sich der Fotofalle bis auf wenige Zentimeter nähert. Dieses Tier hat keinen „Backenbart“. Sein Aussehen wirkt insgesamt „jugendlicher“.
Die Feldforschung kennt nur wenige Situationen, in denen Luchse einen Riss gemeinsam nutzen. Üblicherweise ist dies der Fall, wenn eine führende Luchsin die Beute mit ihren Jungen teilt. Eine weitere Möglichkeit wurde kürzlich in Slowenien durch eine Fotofalle dokumentiert: während der Ranzzeit, in der sich Kuder und Luchsin für kurze Zeit zusammenfinden, akzeptierte eine Luchsin, dass ihr „Partner“ auch von ihrem Riss fressen durfte. Bislang einmalig ist eine neuere Beobachtung im Nationalpark Harz, wo sich auch außerhalb der Paarungszeit Luchsin und Kuder die Beute teilten. Die Fotobelege aus Körle legen jedoch nahe, dass da ein vorjähriger Jungluchs den Riss „seiner Mama“ nutzen durfte.