Der Luchs ist zurück
Still und heimlich streift er wieder durch Hessens Wälder – der Luchs, Europas größte Wildkatze. In unterschiedlichen Regionen wurde er über längere Zeiträume mehrfach gesehen. Die Sichtungen waren überwiegend glaubwürdig und nachvollziehbar.
Der letzte Luchs soll 1833 im Odenwald erlegt worden sein. Danach war er in Hessen ausgerottet. Wann danach wieder das erste Mal ein Luchs in Freiheit beobachtet wurde, lässt sich nicht genau angeben. Bis Ende der 1990er Jahre kam es in Hessen immer mal wieder zu vereinzelten Sichtungen, bei denen man stets davon ausging, dass die Tiere aus irgend einem Wildpark entflohen waren.
Ab September 1999 häuften sich plötzlich die Luchssichtungen im Werra-Meißner-Kreis. Die Anwesenheit der großen Katze in den Wäldern des Ringgaus wird seither immer wieder bestätigt. Es ist durchaus denkbar, dass es sich um mehrere Tiere handelt. Spaziergänger wollen 2003 sogar ein Exemplar mit Nachwuchs gesehen haben. Auch im hessischen Spessart (Main-Kinzig-Kreis) gehen die Meldungen bis in die neunziger Jahre zurück. Forstbeamte konnten dort am hellen Tag auf 30 m Entfernung einen Luchs beobachten. 2005 traf im Spessart ein erfahrener Jäger auf einen Luchs mit Jungtier. Zudem wurden Risse gefunden, die als typisch gelten: die Beutetiere waren an den Keulen angeschnitten und die Skelette waren unversehrt.
Zwischen 1999 und 2001 war auch im Reinhardswald (Landkreis Kassel) ein Luchs unterwegs. Das Tier hatte ein markantes Merkmal, das bei jeder Sichtung als Besonderheit auffiel. Von daher war klar, dass in allen Fällen der selbe Luchs gesehen wurde. Die meisten Begegnungen fanden in einem etwa 10 000 Hektar großen Waldareal des mittleren Reinhardswaldes statt, in etwa markiert durch die Orte Hombressen, Gottsbüren, Gottstreu und Veckerhagen. Die Nähe zum Tierpark Sababurg ließ natürlich sehr bald den Verdacht aufkommen, dass der Luchs zum dortigen Bestand gehörte und nun dabei war, auch andere Teile des Reinhardswaldes zu erkunden. Doch die Sababurg-Luchse waren noch vollzählig. Das Tier musste zugewandert sein. Seit April 2007 gibt es wieder Hinweise auf einen Luchs im Reinhardswald. Bei Hofgeismar-Beberbeck wurden damals Rufe gehört. Im Dezember 2007 wurde dort dann auch ein Tier gesehen.
Auch aus dem Lahn-Dill-Kreis und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf wurden Luchsbeobachtungen gemeldet. Bereits im Frühsommer 2003 gab es Sichtungen bei Breitscheid und Herborn, im Winter 2004/2005 auch im Raum Biedenkopf und im Umland von Wetzlar. Dort wurden zudem eindeutige Rufe gehört und etliche Fährten im Neuschnee gefunden und fotografiert.
Ende September 2005 lief bei Marburg ein Luchs durch den Aufnahmebereich einer Überwachungskamera. Installiert war die Kamera an einem Anwesen in Alleinlage. Der Luchs wechselte aus dem nahen Wald über eine Freifläche zum Auwaldgürtel entlang der Lahn. Der erste direkte Beleg für sein Vorkommen in Mittelhessen.
Luchsbeobachtungen gab es 2005 auch im Vogelsbergkreis bei Grebenhain und auf der Landstraße zwischen Herbstein und Altenschlirf. Ende November fand ein Jagdaufseher dann bei Schotten einen eindeutigen Riss, der dokumentiert wurde. Auch im Hochtaunuskreis wurden 2005 erstmals Luchse gesehen. Anfang 2006 gab es zum ersten Mal Sichtungen im Landkreis Fulda.
Im Juni 2006 fotografierte ein Biologe die ersten Luchsfährten im Odenwaldkreis. Kurz danach wurden auch Sichtungen und Risse gemeldet. Wenige Wochen später erreichte uns das erste Foto eines Luchs-Trittsiegels aus dem Landkreis Bergstraße. Mittlerweile wissen wir von Rufen, Sichtungen und Rissen, die bis 2005 zurückreichen.
Im Frühjahr 2007 wurden auch im Landkreis Hersfeld-Rotenburg die ersten Luchs-Risse entdeckt. Der erste Luchs im Landkreis Groß-Gerau ließ sich im Juni 2007 bei Raunheim sehen.
Im Herbst 2007 wurden auch wieder Jungtiere gemeldet. In einem Waldareal bei Marburg traf eine Pfadfinder-Gruppe auf zwei Luchse. Ein Größenunterschied wurde nicht bemerkt. Dennoch ist – der Jahreszeit entsprechend – von einer Luchsin mit einem fast erwachsenen Jungtier auszugehen. Für ein Rendezvous war es noch zu früh. Die Paarungszeit beginnt erst im Februar.
Im Rheingau-Taunus-Kreis überquerte eine Luchsin mit 2 Jungtieren kurz nach Einbruch der Dunkelheit die B 54. Die Meldung kam von einem Jäger, der sein Fahrzeug scharf abbremsen musste, um eine Kollision zu vermeiden. Er sah die drei Luchse auf 2 Meter Entfernung im Lichtkegel seiner Scheinwerfer.
Zwei nachgemeldete Sichtungen im Rheingau-Taunus-Kreis stammen aus den Jahren 2004 und 2005. Dort wurde ein Luchs am späten Abend im Ortskern einer Kleinstadt beobachtet, als er Essensreste aus einem Hundenapf fraß. Im Sommer 2007 wurde ein Tier aus Hattersheim (Main-Taunus-Kreis) gemeldet, das dort auch tagsüber gesehen wurde und sich an der nahen Wohnbebauung nicht störte. Im Werra-Meißner-Kreis wurde 2009 mehrfach ein Luchs gesichtet, der ebenfalls wenig Scheu vor Menschen zeigte. So ließ er einen Forstbeamten auf 20 m herankommen. Ein anderer Beobachter sah ihn ebenfalls auf kurze Distanz und lockte ihn mit den Worten „Komm mal her zu mir“ (oder ähnlich). Das Tier kam dann tatsächlich und strich ihm um die Beine.
Es liegt nahe, dass es sich in diesen Fällen um Luchse gehandelt hat, die längere Zeit in Gefangenschaft waren und daher mit Menschen vertraut sind. Bei dem Werra-Meißner-Luchs ist zu vermuten, dass er von einem privaten Halter im Haus aufgezogen wurde. Luchse in Wildparks sind in der Regel nicht so stark auf Menschen geprägt, dass sie sich heranrufen lassen und dann Körperkontakt aufnehmen.
Mittlerweile konnte auch die Herkunft jenes Tieres geklärt werden, das 1990 bei Spangenberg (Schwalm-Eder-Kreis) erlegt wurde, nachdem es zu einem Jäger auf den Hochsitz klettern wollte. Ein zahmer Luchs, der in einer Familie aufgewachsen war und dann einfach freigelassen wurde. Mehr dazu in der Rubrik „Gegen illegale Aussetzung“.
Jener „Spangenberg-Luchs“, das Tier aus Hattersheim, das Rheingauer Exemplar und der „Schmuseluchs“ im Werra-Meißner-Kreis und sind bislang die einzigen Luchse in Hessen, die „auffällig“ geworden sind. Alle anderen Tiere, die derzeit zwischen Neckar und Weser unterwegs sind, halten die arteigene Distanz zum Menschen.
Die neueren Luchsmeldungen aus Hessen werden in unseren jährlichen Luchsberichten ausführlich dargestellt und ausgewertet. Diese Berichte erstellt der Arbeitskreis Hessenluchs im Auftrag des Hessischen Landesamts für Naturschutz (HLNUG). Derzeit aktuell ist der Luchsbericht 2024 (pdf·10,9 M).
Woher kommen sie ?
Der Luchs ist durchaus in der Lage, weit zu wandern. Man kann aber kaum erwarten, dass diese Tiere aus den fernen Karpaten-Wäldern zu uns kamen. Das wäre die nächstliegende autochthone Population.
Die meisten anderen Luchse in Mitteleuropa sind auf die eine oder andere Weise – direkt und indirekt – von Menschen in das Ökosystem eingebracht worden. Das „Wildeste“ womit wir in Hessen rechnen, sind die frei geborenen Nachkommen jener Karpaten-Luchse, die zwischen 1970 und 1988 im Bayerischen Wald und im Böhmerwald (Tschechien) ausgewildert wurden. Jura- und Vogesen-Luchse dürften es schwer haben, zu uns zu finden. Naheliegend sind Zuwanderungen aus dem Harz, wo seit dem Jahr 2000 Luchse wiederangesiedelt wurden. Mittlerweile hat der besenderte Harzluchs M2 dies auch eindrucksvoll belegt. Illegale Aussetzungen sind nicht auszuschließen. Entflohene Käfig-Tiere können natürlich auch eine Quelle der Besiedlung sein.
Die Anwesenheit des Luchses in Hessen ist zweifelsfrei nachgewiesen. Über die Gesamtzahl in der Fläche kann allerdings nur spekuliert werden. Da Luchse einen hohen Aktionsradius haben, können Meldungen im Spessart, im Vogelsberg und in der Wetterau vom selben Tier stammen. Andererseits legt die hohe Zahl der Meldungen aus verschiedenen Landesteilen innerhalb kurzer Zeiträume nahe, dass es sich um mehrere Luchse handelt. Die Sichtungen von Jungluchsen lassen den Schluss zu, dass eine Fortpflanzung im Freiland stattfindet. In Nordhessen ist dies bereits durch Fotofallen-Monitoring und Zufallsaufnahmen nachgewiesen.